Betriebsbesetzungen und die Aussichten der Radikalisierung der Arbeiterbewegung
Noam Chomsky ist Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology und inspiriert seit den 1960ern Philosophie und Kognitionswissenschaften durch sein Forschungsprogramm. Als libertärer Sozialist engagiert er sich politisch mit zahlreichen Publikationen und in Debatten gegen Krieg, Ausbeutung und Kapitalismus. Chomsky ist Mitglied der IWW.
Am 9. 10. 2009 unterhielt sich Diane Krauthamer, Redakteurin der IWW-Zeitung „Industrial Worker“, mit Noam Chomsky, um seine Meinung über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Arbeiterklasse und mögliche Perspektiven im Klassenkampf von unten in Erfahrung zu bringen. Wir zitieren aus dem Gespräch:
Diane Krauthamer: Zu Beginn unseres Gesprächs möchte ich mit Ihnen über die Wirtschaftskrise diskutieren und darüber, wie Arbeiter mit den Problemen, mit denen wir konfrontiert sind, fertig werden können. In Ihrem jüngsten Artikel „Crisis and Hope: Theirs and Ours“, der in Boston Review erschienen ist, schrieben Sie, „die Finanzkrise wird man vermutlich irgendwie flicken, während so ziemlich alle Institutionen, die sie verursacht haben, aufrechterhalten werden.“ Danach gab es vor kurzem ein Aufwallen der militanten Arbeitskämpfe an Arbeitsplätzen, v. a. in ganz Europa und in Nordamerika. Sie wissen ja, dass im Werk von Republic Windows and Doors in Chicago die erste Werksbesetzung in den USA seit den 1930ern stattgefunden hat.
Chomsky: Sie müssen es bloß schaffen, dass die Leute organisiert sind, und ihnen die Wahrheit sagen. Dafür gibt es keine Zaubertricks. (…) Eine starke Gegnerschaft der Arbeiter wieder aufzubauen, erfordert viel Arbeit, geschah jedoch bereits. Ich meine, in den 1920er Jahren war die Arbeiterbewegung beinahe völlig vernichtet. In den 1930er Jahren lebte sie wieder auf und wurde ziemlich radikal. Es kann schon etwas geschehen, aber nicht von selbst. Es gab damals die Kommunistische Partei, die genau im Zentrum der Bürgerrechtsbewegung, des Arbeiteraktivismus usw. agierte. Aber es braucht noch mehr, das dafür sorgen kann. Die Russland-Anbetung will zwar nicht jeder, die Partei konnte aber einige Erfolge im Inland vorweisen.
DK: Wenn Sie einen Rat hätten für künftige Generationen der Wobblies, besonders angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die uns bevorstehen und mit denen wir im Westen wahrscheinlich noch lange konfrontiert sein werden, wie würde Ihr Rat lauten?
Chomsky: (…) Zuerst einmal glauben Sie nichts, was Sie von Herrschaftssystemen hören. Wenn also Obama, Ihr Chef oder die Zeitungen oder sonst jemand Ihnen sagt, sie machten dies oder jenes, dann glauben Sie das nicht oder gehen Sie davon aus, dass das Gegenteil wahr ist, was es auch oft ist. Sie sind auf sich und Ihre Kollegen angewiesen – Geschenke gibt es nicht von oben. Sie müssen sie sich schon verschaffen, sonst bekommen Sie sie nicht; und Sie verschaffen sie sich durch Kampf. Der erfordert Verstand und eine ernste Untersuchung der Entscheidungsmöglichkeiten und der Verhältnisse. Dann ist vieles möglich.”
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