Arbeitsplätze bestehen aus vielen sozialen Gruppen, die Verbesserungen erkämpfen können
Wann ist eine Gruppe zu klein für eine direkte Aktion am Arbeitsplatz? Welcher Zeitpunkt ist zu früh, um gegen den Boss zurückzuschlagen? An welchem Punkt erreicht man eine „kritische Masse“, die groß und stark genug ist, um echte Verbesserungen am Arbeitsplatz durchzusetzen? Die Antwort auf die Frage „Wann ist es zu früh, um gegen den Boss zurückzuschlagen?“ lautet: Niemals. Denn es gibt immer eine gewisse Art von Druck – so klein dieser auch sein mag – die wir auf unsere Arbeitgeber:innen aus-üben können. Einzelne Arbeiter:innen tun das ständig, unabhängig und unkoordiniert, oft ein-fach zur eigenen Erleichterung. Wie viele von uns sagen „Jawohl, Chef!“ und machen dann das Gegenteil, sobald der Vorgesetzte außer Sichtweite ist – weil wir wissen, dass unsere Art besser oder effizienter ist? Oft sagen Arbeiter:innen das eine und tun das andere, weil das Management den Bezug zur Arbeitsrealität verloren hat.
Der Generalschlüssel
Vor einiger Zeit kam eine Reinigungskraft mit einem Problem zu mir: Bis zu jenem Tag hatte ihr Vorgesetzter ihr einen Generalschlüssel anvertraut. Damit konnte sie das gesamte Gebäude betreten, um zu reinigen, Vorräte aufzufüllen oder Aufgaben wie das Wechseln von Glühbirnen zu erledigen. Als ein anderer Manager entdeckte, dass die Kollegin diesen Schlüssel besaß, machte er aus einer Mücke einen Elefanten. Anstatt zu sehen, dass diese Person einfach ihre tägliche Arbeit erledigte, wurde nun ein Problem daraus, dass sie überall Zugang hatte. Obwohl es keinen Hinweis auf Unehrlichkeit gab, wurde sie als Sicherheitsrisiko dargestellt. Der Generalschlüssel wurde ihr entzogen. Ihr direkter Vorgesetzter riet ihr, sich heimlich einen Ersatzschlüssel zu besorgen und nichts zu sagen, aber die Kollegin hatte Angst, dass sie erwischt würde und dann noch größeren Ärger bekäme. Was tun? Wir hätten nun den Weg einer klassischen Gewerkschaft gehen und Beschwerde einreichen können. Aber war es wirklich die beste Option, Papierkram zu erledigen, wochenlang ein Treffen zu planen und dann nochmal wochenlang auf eine Antwort zu warten (die vielleicht gar nicht die ist, die wir wollen)? Die Kollegin war wütend. Sie hatte ihre Arbeit gut gemacht und sich als vertrauenswürdig erwiesen. Ich sagte ihr: „Überleg dir mal, ob du nicht einfach jedes Mal, wenn du etwas tun sollst, wofür du den Generalschlüssel brauchst, ganz höflich deinen Manager dazuholst. Jedes Mal, wenn du einen Putzschrank öffnen, ein Büro betreten oder ein Regal auffüllen musst, bittest du deinen Vorgesetzten, mit seinem Generalschlüssel zu kommen. Du lächelst die anderen Manager:innen freundlich an und sagst: ‚Ich muss ihn dafür rufen.‘ Was, glaubst du, wird passieren?“ Die Idee gefiel ihr. Es dauerte nur ein paar Tage, bis das Management aufgab. Es war fast so, als gäbe es gar keine Reinigungskraft. Praktisch bei jeder Aufgabe, die zur normalen Arbeit gehörte, musste der Vorgesetzte den weiten Weg in ein anderes Stockwerk oder Gebäude machen, um eine Tür aufzuschließen. Es gab keine Eskalation, keine dramatische Konfrontation, keine Diskussion über die eigentliche Ursache. Innerhalb einer Woche hing der Generalschlüssel wieder am Schlüsselbund der Kollegin, und das Thema wurde nie wieder angesprochen.
Kleine Siege
Wenn eine einzelne Arbeitskraft Wege findet, sich zu wehren – dann können das auch zwei oder drei. Eine Handvoll Arbeiter:innen kann wahrscheinlich keine höhere Bezahlung, mehr Urlaub oder bessere Krankenstandsregelungen für alle durchsetzen. Aber ein paar Leute können viele kleine Erfolge erzielen – die sich, übereinandergestapelt, zu echten Veränderungen summieren. Ein paar Kolleg:innen können sich gegen einen tyrannischen Vorgesetzten wehren, andere zu neuen Arbeitsweisen inspirieren oder Präzedenzfälle schaffen, auf die sich andere später berufen können. Jeder Arbeitsplatz besteht aus vielen sozialen Gruppen und Arbeitsgruppen und somit automatisch aus vielen kleinen, informellen „Gewerkschaften“. Diese Gruppen setzen ständig konkrete Verbesserungen durch. Und oft – auch wenn es nicht beabsichtigt ist – profitieren auch andere davon.
Kultur der Verbesserungen
Wenn wir Arbeitsplätze auf der Grundlage von Solidarität organisieren, die in gemeinsamen Sorgen und Forderungen verwurzelt ist, verknüpfen wir die kleine Macht dieser Gruppen zu einer einheitlichen Front. Wir koordinieren sie – ersetzen sie aber nicht. Diese kleinen Zellen der Selbstverteidigung hören nie auf zu existieren. Und wenn wir klug sind, helfen wir ihnen ständig dabei, im richtigen Moment eigene Aktionen zu starten. Diese kleinen Aktionen bilden oft die Grundlage für größere. Sie sind auch schwerer zu unterdrücken – oder wirken auf den Boss zu unbedeutend, um dagegen vorzugehen. Kleine Siege schaffen Vertrauen, bauen Solidarität auf und zeigen, dass ein besserer Arbeitsplatz möglich ist. Wenn sich so eine Kultur einmal etabliert hat, ist sie für das Management nur schwer rückgängig zu machen. Diese Art des Organisierens ist ein langsamer, überlegter und methodischer Prozess – nicht etwas, das in wenigen Wochen oder Monaten aufkocht und endet. Aber dieser Ansatz ist in der Regel sicherer, stabiler und nachhaltiger. Die kleinen Siege verbinden sich allmählich zu einem Netz des Widerstands, das sich über den ganzen Betrieb ausbreiten kann. Und wenn wir so weitermachen, wird sich der Boss irgendwann in diesem Netz verfangen.
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Übersetzt und gekürzt aus industrialworker.org
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